Aus Immendorf

erzählt uns der Rheinische Antiquarius* von Stramberg eine merkwürdige Geschichte:

Im Jahre 1844 ist daselbst seitens der Israeliten an einem Mitglied der israelitischen Gemeinde die altestamentliche Strafe der Steinigung vorgenommen worden.

Der damalige jüdische Lehrer in Immendorf hieß Jacob Tobias Schatz, war 43 Jahre alt und stammte aus Bialystock im fernen Podlachien. Vor kurzem nach Immendorf berufen zog er sich durch seine Polemik gegen dasjenige, was er als überflüssiges Zeremoniell im jüdischen Gottesdienst betrachtete, den Haß seiner orthodoxen Glaubensgenossen zu. Es kam zu häufigen Streitigkeiten und vielen Meinungsverschiedenheiten; allein der Lehrer Schatz zeigte durch Wort und Tat, daß er unerschütterlich bei seiner Ansicht verharrte. Am Freitag, den 17. Mai 1844, kam es sogar in der Synagoge oder Schule, wie sie dieselbe nannten, zu den heftigsten Auseinandersetzungen; die Immendorfer Israeliten fühlten sich höchst verletzt durch die unvorsichtigen Ausführungen ihres Lehrers, dem sie mit ihren Gegengründen verbal nicht beikommen konnten und mißhandelten ihn auf rohe Weise. Er verließ daraufhin die Schule und erklärte, daß er nicht mehr dahin zurückkehren wolle; er werde vielmehr den Ort ganz verlassen. Zu einem Freunde, der ihm den Rat gab, die Nacht nicht in seinem Hause zuzubringen, sagte er daß er sich nach Arenberg begeben und dort im "Roten Hahnen" schlafen wolle. In der Nacht um halb10 Uhr abends, hörte in Arenberg ein Gast, als er das Wirtshaus Klee verließ, Stöhnen und Wehklagen; sofort eilte er in. die Wirtschaft zurück, um die verdächtigen Laute zu melden. Der Wirt meinte, er habe sich getäuscht und wahrscheinlich etwas ganz anderes gehört; allein er bestand darauf, daß er eines Menschen Klage gehört habe; und so setzte sich denn die ganze im Hause noch versammelte Gesellschaft in Bewegung, um beim Schein einer Laterne die Sache aufzuklären Alle hörten das Stöhnen und gingen ihm nach auf dem Weg nach Immendorf zu. Hier begegnete ihnen ein Jude aus Immendorf, der auf ihre Fragen erklärte, er komme von Ehrenbreitstein und wolle nach Immendorf, sei aber, das Stöhnen vernehmend in seinem Schrecken wieder zurück nach Arenberg umgekehrt. Bald fanden sie dann den israelitischen Lehrer von Immendorf sterbend am Boden liegen und um ihn einen Haufen kopfdicker Steine. Einer der Hinzugekommenen richtete des Sterbenden Haupt auf, und darüber hauchte dieser den letzten Seufzer aus. Er konnte nicht mehr sprechen, und nach Erklärung eines Sachverständigen starb er an zwei absolut tödlichen Wunden, eine am Hinterkopf und eine an der Schläfe. In alttestamentlicher Weise war er gesteinigt worden. Die schauerliche Tat gab Anlaß zu einer langwierigen Untersuchung; allein es fehlte an Beweisen, um die eigentlichen Täter zu überführen; nur ein Knecht wurde zu längerer Gefängnisstrafe verurteilt.
Soweit der Rheinische Antiquarius.
Nachzutragen bleibt noch wo in Arenberg diese Steinigung geschah. Den Quellen zufolge unterhalb der Gnadenkapelle, (die erst sechs Jahre später errichtet wurde), bei der Bruchsteinmauer an der Umgehungsstraße am Aufgang zum neuen Friedhof.
Bei dem im Text genannten Gasthaus Klee handelt es sich wahrscheinlich um das ehemalige Parkhotel auf dem Kissel an der "Alten Emser Strasse". Von dort ging früher ein Pfad nach Immendorf.

* Der "Rheinische Antiquarius", eine von Johann Christian von Stramberg ( 1785-1868) Mitte des 19. Jahrhunderts angelegte Sammlung von Nachrichten uA. zu rheinischen Adelsgeschlechtern. Sie umfassst Insgesamt 35 Bände.

Konrad Weber 22.Februar 2005