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Wild-West in Arenberg
Der Schwarzmarkt
Die Franzosen kommen
Mein erstes Radio
Schnapsbrennen in Arenberg 
Pflanzkartoffeln aus der Pellenz
Beim Apfelpflücken
Bucheckern, Retter in der Not

Die Nachkriegszeit

Vorbemerkung: In den nachfolgenden Geschichten wird von Amerikanern, Franzosen, Polen und den damals teilweise angespannten Beziehungen unter den Nationalitäten berichtet. Die hier vorgestellten Geschichten sind subjektive Erinnerungen und Erzählungen aus der damaligen Zeit. Sie stehen für sich und geben nicht etwa meine heutigen Einstellungen zu den jeweiligen Nationalitäten wieder. Konrad Weber  im Jahr 2002

Am Dienstag 27. März 1945 war der Krieg auch für Arenberg zu Ende, nachdem Koblenz schon etwas früher von den Amerikanern besetzt worden war. Damals lebten nur noch etwa 4000 Personen in der Stadt. Koblenz war ein Trümmerhaufen, 1,5 Millionen Kubikmeter Schutt und Trümmer prägten das Stadtbild. Vom Rhein hatte man ungehinderten Durchblick bis nach Moselweiß. Der Verlauf der Rheinstraße war nicht mehr auszumachen, hier lagen meterhoch die Trümmer der zerstörten Häuser. Von den 7.370 Wohngebäuden im Vorkriegs-Koblenz, waren 3.116 zerstört, die übrigen mehr oder weniger stark beschädigt. Der Bombenkrieg auf Koblenz hatte 1.016 Tote und 2.925 Verwundete gefordert. Wie durch ein Wunder blieben die großen repräsentativen Bauten fast alle erhalten, so das Rathaus, das bisherige Oberpräsidium der Rheinprovinz, das Regierungsgebäude und das Hotel Koblenzer Hof. Die Versorgung der Stadt war total zusammengebrochen, es gab weder Strom, Kanalisation, Wasser noch Gas. Die Eigentumsbegriffe waren verwischt, es gab nichts zu essen, es herrschte bittere Hungersnot. Jeder war sich selbst der Nächste und war bestrebt, notfalls mit kriminellen Methoden über die Runden zu kommen. Die Menschen suchten mit bloßen Händen in den Trümmern nach noch brauchbarem Hausrat oder Konserven und hofften sonstige persönliche Habseligkeiten zu finden. Der Schwarzmarkt blühte. Das Geld, die Reichsmark, war nichts mehr wert.  Für Zigaretten konnte man dagegen (fast) alles bekommen. Alle Koblenzer Brücken waren zerstört. An Stelle der alten Schiffsbrücke bauten die Amerikaner eine Pontonbrücke nach Ehrenbreitstein, die in der Regel nur mit Passierschein und vorhergehender "Entlausung" mit DDT Spritze in Ehrenbreitstein, benutzt werden durfte. Die Entlausungsspritze hatte gigantische Ausmaße, etwa 50 cm lang und 12 cm im Durchmesser, oben mit einem Griff, ähnlich dem einer Luftpumpe, unten mit phallusartigem Gebilde am Ende, aus dem die DDT-Staubwolke unter Druck austrat. Man muss sich einfach eine überdimensionierte medizinische Spritze in brauner Farbe vorstellen.
Die Männer mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen und ein G.I. zog die Unterhose am Bund an, der andere nebelte den Genitalbereich ein. Die Frauen durften den BH und den Rock anbehalten, das übrige lief gleich ab. Erst nach dieser äußerst peinlichen Prozedur gab es den Passierschein. Die G.I.´s* machten sich aus dieser "Entlausung" besonders bei den Frauen in Scham verletzender Weise einen derben Spass, oft begleitet von feixenden Kommentaren. Um dem erniedrigenden Prozedere zu entgehen, schickten Mütter oft auch ihre Kinder. Die Schikane diente meiner Einschätzung nach nur der Demütigung der Bevölkerung, die ohnehin in Not, Hunger und Elend dahinvegetierte, aber trotz allem nicht verlaust oder verwahrlost war. Ehrenbreitsteiner Jungen trieben einen schwunghaften Handel mit den Passierscheinen, gegen Bares natürlich, indem sie sich mehrmals am Tage entlausen ließen. Die Entlausung war auch die erste Hürde der zurückströmenden, wegen des Bombenterrors evakuierten Koblenzer aus Thüringen, Sachsen usw., die nach Koblenz, oftmals zu Fuss zurückkamen, weil öffentliche Verkehrsmittel und die Eisenbahn zerstört waren oder kein Treibstoff vorhanden war.
 
* G.I. government issue, (Staatseigentum), früher Aufdruck auf milit. Ausrüstung der amerik. Armee, dann übertragen auf amerik. Soldaten.

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Wild-West in Arenberg
Die Deinhard Sektkellerei unterhielt in Bürgermeister Peter Klee´s Keller ein Ausweichlager. Der Keller selbst war zwei Stockwerke tief. Im unteren Teil war das Ausweichlager untergebracht. Hier lagerten alte, edle Tropfen, das wussten auch die in der ehemaligen Flakkaserne (Niederberger Höhe) internierten polnischen Zwangsarbeiter. Sie terrorisierten die hiesige Bevölkerung und bedrohten sie mit einer Axt, um Geld oder Lebensmittel zu erpressen. In den ersten Apriltagen 1945 plünderten ca. 150 Polen Peter Klee´s Keller, um sich an den Deinhard´schen Edeltropfen zu laben. Säckeweise mit Sekt- und Champagnerflaschen beladen zogen sie durch die Silberstrasse in Richtung Flakkaserne. Wenige Minuten später war amerikanische MP (Militärpolizei) zur Stelle. Sie sprangen aus den Jeeps und postierten sich an der Einfahrt zu Webers Hof in der Silberstraße. Einer lehnte sich an die Mauer, Zigarette im Mundwinkel, Kaugummi kauend und eine leichte Maschinenpistole unterm Arm, in 25 Meter Entfernung tauchte ein Pole auf, in jeder Hand eine kostbare geschliffene Bouteille, italienischer oder französischer Herkunft mit rotem Inhalt, die im Rhythmus der Vorwärtsbewegung hin und herpendelten. Zwei kurz aufeinanderfolgende Schüsse - die Bouteillen fielen fast gleichzeitig zu Boden - der Pole sah sich verdutzt seine Hände an, in denen nur noch der Flaschenhals mit dem Korken waren. Jetzt erst nahm er den MP-Soldaten wahr, wurde bleich im Gesicht und hatte nicht nur sprichwörtlich die Hosen voll.
Carl May´s Winnetou hatte ich gelesen und kannte seinen "Knieschuss", aber so etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Ich war bei der Hitlerjugend noch am "Karabiner" ausgebildet, wir hatten über "Kimme und Korn" zielen gelernt - aber aus der Hüfte schießen und auch noch treffen - das war unglaublich.
Nun begann erst die Treibjagd, die MP-Soldaten feuerten von hinten in die Säcke, ein Schuss genügte, um den gesamten Inhalt hochgehen zulassen (der Champagner und Sekt war ja gut durchgeschüttelt). Die Polen standen förmlich unter einer Sekt-Dusche. Die Silberstrasse stank nach Alkohol, wie eine Kneipe nach einer ausgelassenen Kirmes. Wir Kinder liefen aus Neugier hinter den Amis her, um zu sehen, was weiter geschah. Auf der Strasse zur Flakkaserne (Umgehungsstrasse), damals noch mit tiefen Gräben rechts und links der Strasse, versuchten die Polen, in Höhe des Heiligenhäuschens, über die Felder zu flüchten. Das half ihnen allerdings recht wenig, denn die Amis feuerten aus dem fahrenden Jeep aus 60-70 Metern Entfernung, wie gesagt ein Schuss pro Sack, eine meterhohe Fontäne stieg auf und zugleich erleichtert und erfrischt rannten die Polen weiter, wurden aber von nachfolgenden Jeep´s eingesammelt. Binnen kurzer Zeit war der ganze Spuk vorbei. Vorbei war auch der Terror der polnischen Zwangsarbeiter, sie wurden nach Hause, nach Polen verfrachtet.
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Der Schwarzmarkt
Vor der Währungsreform konnte man nichts für das wertlose Geld (RM Reichsmark) kaufen. Für Zigaretten, Kaffe oder Schinken bekam man auf dem "Schwarzmarkt" aber alles. Von der Dachpappe, Fensterglas oder sonstigen Materialien, zur notdürftigen Reparatur der Häuser, war gegen "Naturalien" alles zu organisieren. Zigaretten waren als "Zahlungsmittel" anerkannt. Vor dem Hauptbahnhof in Koblenz war täglich "Markt". Hunderte tummelten sich hier um ihre Geschäfte abzuwickeln. Die im Wiederaufbau befindlichen Behörden versuchten das Treiben zu unterbinden, aber alle Mühen waren vergebens. Es fehlte hinten und vorne an Personal, die das illegale Treiben hätte unterbinden können. Die Amerikaner sahen zunächst eher uninteressiert zu. Hamsterfahrten in das Umland der Städte waren die einzige Chance zu überleben und die Hungersnot einigermassen zu überstehen. Tafelsilber und Güter des gehobenen Bedarfs wechselten gegen Lebensmittel den Besitzer. Auch in Handwerk, Handel und Industrie wurde getauscht was das Zeug hielt. So konnte eine prosperierende Wirtschaft nicht aufgebaut werden. Durch die ansteigenden Spannungen der Westmächte gegenüber dem Ostblock führten ab 1.1. 1947 in der Bizone (engl. amerikan. Besatzungszone) zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik, die auf amerikanische Initiative das ERP Programm (European Recovery Program) ins Leben rief. Um einen Aufschwung der Wirtschaft zu ermöglichen, mußten Tauschwirtschaft, Schwarzmarkt und die massive Entwertung der Reichsmark beseitigt werden. Von den Westalliierten war hierzu ein harter Schnitt geplant, die Währungsreform. Als im März 1948 die drei Westzonen zum einheitlichen Wirtschaftsgebiet zusammengefaßt wurden (Trizone), war zu einer neuen Währung der Weg frei. Die Bedingungen dieser Umstellung wurden unter strenger Geheimhaltung von amerikanischer und britischer Seite bestimmt, der Einfluß der deutschen Wirtschaftsexperten war eher gering. Trotz aller Geheimhaltung kursierten in der Bevölkerung viele Gerüchte über Einzelheiten dieser Reform und vor allen Dingen auch über deren Zeitpunkt, Die Ahnungen und Vermutungen führten zu einem völligen Vertrauensverlust gegenüber der alten RM-Währung, Waren wurden zurückgehalten, die wirtschaftliche Lage verschärfte sich rapide und erhöhte den Druck auf die westlichen Besatzungsmächte, den Termin für die Umstellung bekanntzugeben. Am 19. Juni 1948 war es dann soweit, die Westalliierten gaben das Währungsgesetz bekannt, und am 20. Juni 1948 wurde die neue Währung ausgegeben: die DM. Jeder Einwohner der Trizone bekam 40 DM als Kopfgeld, quasi als Startkapital.  Besitzer von Sparguthaben wurden durch die Währungsreform sehr stark benachteiligt, denn die Konten wurden 10 zu 1 abgewertet, dagegen behielten oder steigerten Immobilien oder Sachwerte in kurzer Zeit ihren Wert. Nach der Währungsreform nahm Deutschlands Wirtschaft einen rasanten Aufstieg, man sprach vom "Deutschen Wirtschaftswunder".
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Die Franzosen kommen
Koblenz und auch Arenberg waren nur wenige Wochen unter amerikanischer Militärverwaltung, denn am 15 Juli 1945 rückten die Franzosen mit Kind und Kegel in Koblenz ein und lösten die Amerikaner ab. Damit wurde aber auch die "Entlausung" abgeschafft, aber die "Amis" nahmen etwas später ihre Pontonbrücke mit und Koblenz war wieder ohne Rheinübergang. Die G.I.`s waren satt, hatten genug zu essen und wenn sie gut gelaunt waren, fiel auch schon mal eine Tafel Schokolade oder ein Riegel Kaugummi oder sonstige Süßigkeiten für die Kinder ab. Die Franzosen hatten selbst Hunger, von ihnen war nichts zu erwarten, ganz im Gegenteil, sie verschärften die Hungers- und Wohnungsnot noch, wie folgende überlieferte Story beweist: Ein Koblenzer unterhielt in Pfaffendorf einen Obstgarten und hatte darin nachmittags ein Körbchen Kirschen gepflückt. Ein französischer Posten auf der Pontonbrücke wollte die Kirschen konfiszieren, der erboste Koblenzer schüttete das kostbare Obst lieber in den Rhein, als es dem Franzosen zu überlassen. Ebenso war es mit dem Wohnraum, die Franzosen beschlagnahmten die noch intakten Wohnungen für Offiziere und leitendes Personal; die Eigentümer wurden ausgewiesen und in primitiven Notunterkünften untergebracht. Politisch war Frankreich dabei die Fehler des Versailler Vertrages zu wiederholen, die letztlich zum 2. Weltkrieg geführt hatten. Man wollte Genugtuung, ja Rache nehmen für den "Blitzkrieg" Hitlers, der in nur drei Wochen Frankreich besetzt hatte. La GRANDE NATION war beleidigt. Diese Politik änderte sich erst, als auf Vorschlag des franz. Aussenministers Robert Schuman, die "Montanunion" am 18.4.1951 und später die "Euratom" 25.03.1957 in den Pariser Verträgen gegründet wurde und über die EG Verträge in die heutige EU mündete. Die herausragenden Politiker waren damals Alcide de Gasperi (Italien), Charles de Gaulle (Frankreich), Konrad Adenauer und nicht zu vergessen Robert Schuman, den "Vater Europas", der schon sehr früh (9.5.1950 historische Erklärung für die Neukonstruktion Europas) und als erster die Vision eines Vereinigten Europas hatte.

Aber bald regte sich neuer Lebensmut, die Schuttberge mussten weg, sehr schnell waren auf den Plätzen in Koblenz Maschinen aus den Bimsgebieten der Umgebung aufgestellt, die von morgens bis abends aus dem zerkleinerten Schutt mit allerhand Getöse, Ziegelsteine herstellten. Die wurden auch dringend gebraucht, war doch vieles instandzusetzen oder neu aufzubauen. Das taten die Franzosen recht ausgiebig, das heutige Max-von-Laue-Gymnasium, große Teile des Asterstein (Innere Führung etc.), in Metternich entstand ein neuer Stadtteil (Pollenfeld), der ausschließlich von französischen Familien bewohnt war.
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Mein erstes Radio   
Wie schon berichtet war nach dem Krieg in Arenberg und auch in Koblenz die Stromversorgung zusammengebrochen. Die Abhängigkeit der Bürger von der Stromversorgung war damals bei weitem nicht so groß wie heutzutage. Licht und Radio konnte man schon missen, gekocht wurde auf alten, mit Holz befeuerten Herden, Kohlen oder Briketts gab es auch keine. Licht wurde mit Kerzen oder mit Ölfunzeln aus dem vergangenen Jahrhundert gemacht. Es gab auch keine Zeitung und keine Information. Informationsnotstand sozusagen. Ein Radio musste her, aber wie? Hier kam mir der Zufall der letzten Kriegwochen entgegen. Ein zweimotoriger Bomber der US-Air-Forces (vermutlich eine Dakota) war abgeschossen worden und in der Nähe des Mühlenbacherhofes abgestürzt. Alles wurde von der Bevölkerung irgendwie verwertet und ausgeschlachtet. Der Kerosintank verwandelte sich in Schuhsohlen, an der Funkanlage hatte gottlob niemand Interesse. Auch die Kopfhörerkappe des Bordfunkers, aus feinem Leder und innen mit Fell gefüttert, wollt ausser mir niemand haben. Mit einem kleinen Handwagen fuhr ich die "Beute" nach Hause. Die Drehkondensatoren des Funkgerätes hatten es mir angetan und wurden kurzerhand ausgebaut. Um ein Miniradio zu bauen, brauchte ich nur noch eine selbstgewickelte (Hochfrequenz) Spule, eine Langdrahtantenne, ein paar Kondensatoren und einen Detektorkristall. Die Kondensatoren waren zuhauf im Funkgerät. Den Detektorkristall* suchte ich auf der Abraumhalde der Grube Mühlenbach auf dem Kissel, wo Bleiglanz (PbS) zu finden war. Nach einigen Versuchen gab mein Radio in höchster (Ton) Qualität die ersten Töne von sich. Aber ausser AFN (American Forces Network, Frankfurt) und dem BBC (British Broadcasting Corporation, London) gab mein Radio zunächst nichts her.
 
* Detektorkristall (Metallsulfid mit Halbleitereigenschaften, Gleichrichter)
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Schnapsbrennen in Arenberg
Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör. Dieser schon sprichwörtlich gewordene Reim Wilhelm Buschs hatte nach wie vor seine Gültigkeit. In den Notzeiten nach dem Krieg hatte man Sorgen, aber dummerweise keinen Likör. Von der Kreativität der Bevölkerung war schon mehrfach die Rede - unser Nachbar Aloys Girmann bewies diese mit Bravour. Aloys war Schmied und Schlossermeister. Seine Schmiedewerkstatt lag direkt gegenüber unserem Bauernhof. Aloys war noch zum "Volkssturm", dem letzten Aufgebot der Nazis eingezogen worden und war zu diesem Zeitpunkt, als sich die folgende Geschichte ereignete, gerade erst vor einigen Tagen aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekommen. Er funktionierte eine ausrangierte Milchkanne mit Bügelverschluß zur "Destille" um und begann mit dem Schnapsbrennen in seiner Küche. Dummerweise hatte die blubbernde Maische den Dampfaustritt verstopft, weil die Kanne zu hoch aufgefüllt war. Es kam wie es kommen muß, die Destille explodierte unter einem lauten Knall und verursachte wüste Zerstörungen. Die Maische hatte sich, wie bei Explosionen üblich, kugelförmig im Raum verteilt. Dementsprechend sah die Küche aus, die Küchentüre und das Fenster hatten auch stark gelitten. Echte Kerle geben nach anfänglichen Misserfolgen nicht auf, denn bekanntlich führt nur Beharrlichkeit zum Ziel, so dachte auch Aloys. Teile des ersten Versuches, so die Kühlschlange und das Kühlgefäß waren noch verwendbar und siehe da, in einigen Tagen konnte der zweite Versuch starten. Dieser konnte aber nicht mehr in Aloys Küche stattfinden, weil seine Frau Änni und seine Schwiegermutter entschieden gegen weitere diesbezügliche Versuche waren. Sie drohten auszuziehen. Um es kurz zu machen: Der zweite Brand fand dann bei Webers statt. Das Ungetüm wurde mit reifer, gärender Pflaumenmaische befüllt und nun konnte die Anlage befeuert werden. Nach einiger Zeit gurgelte und gluckste die Maische und siehe da, aus der Kühlschlange tröpfelten tatsächlich die ersten Schnapstropfen. Jeder durfte zum probieren mal seinen Finger drunterhalten und abschlecken. Na ja, für den ersten Brand schon ganz vielversprechend. Das viele "Probieren" hellte die Minen und die Stimmung in unserer Küche merklich auf. Mit der Zeit wurden Aloys und mein Vater wahre Meister der Brennzunft. Es wurden Brände aus Mirabellen, Äpfeln und Pflaumen ausprobiert und hergestellt. Bald stellte sich heraus, daß man zweimal brennen mußte, damit das Ergebnis klarer und hochprozentiger wurde. Es war wie im richtigen Leben: Übung macht den Meister. Reinhard Potter erzählte mir, daß auch sein Großvater die Explosion einer selbstgebastelten Destille überstanden hat. Die Sache war natürlich behördlicherseits streng verboten. Trotzdem lag in Arenberg und anderswo immer öfter ein Hauch würzigen Alkoholdufts in der Luft.
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Pflanzkartoffeln aus der Pellenz
Auch noch ein Jahr nach Kriegsende (1946) war bittere Hungersnot hierzulande. Mein Vater, mein älterer Bruder Paul und ich besorgten im Frühjahr ca. 35 Zentner Pflanzkartoffeln aus der Pellenz.* Den Ort habe ich vergessen, nicht aber die Umstände des Kartoffeltransports. Es war spät geworden, als wir an der Fähre nach Ehrenbreitstein mit unserer Fuhre ankamen. Wie weiter oben schon angemerkt, hatten "die Amis" die Pontonbrücke bei ihrem Abzug aus Koblenz mitgenommen. Die Franzosen hatten ein unzerstörtes Teilstück der alten Schiffbrücke in eine Fähre umfunktioniert, indem einfach ein kleines Schiff fest mit der Fähre verzurrt war. Dieses abenteuerliche Gefährt, nicht vom TüV abgenommen, pendelte tagsüber zwischen Koblenz und Ehrenbreitstein hin und her, mit Fuhrwerken und Lastwagen durfte die Fähre aber nur bis 18 Uhr benutzt werden. Wir kamen etwa 20 Minuten später an, aber der wachhabende Franzose war durch nichts zu bewegen, uns mit unserer Fuhre überzusetzen. Wir fuhren den Wagen etwas zurück in Richtung Kastorkirche am Rheinufer, in die Nähe der Winninger Weinstube. Mein Vater spannte die Pferde aus, und zog mit ihnen über die Fähre heimwärts. Er ließ meinen Bruder Paul und mich zurück mit der ernsten Ermahnung, den Wagen in der Nacht nicht aus den Augen zu lassen. Kurz gesagt: Es war eine lange und kalte Nacht, darauf waren wir nicht vorbereitet. Nichts zu essen und zu trinken, keine Decke zum Aufwärmen, nichts außer Kartoffeln - und die mußten gegen eine hungernde Bevölkerung bewacht werden. Nach des Tages Mühen - etwa 50 km mit dem Pferdefuhrwerk und 35 Zentner Kartoffeln aufladen - waren wir beide rechtschaffen müde. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde es immer schwerer, uns wach zu halten. Wir erfanden das Intervallschlafen, einer rannte in großem Bogen um den Wagen, der andere versuchte trotz Kälte und knurrendem Magen etwas zu schlafen. So ging das im halbstündigen Wechsel bis zum Morgengrauen. Die Geräusche in der Nacht waren auch nicht angetan, um in uns ein Gefühl der Geborgenheit aufkommen zu lassen. Der Rhein gluckste und plätscherte und  aus der Ferne schrie ein Käuzchen, es war unheimlich. Dauernd spähten wir in die Dunkelheit, ob sich jemand in eindeutiger Absicht unseren Kartoffeln nähern wollte. Gegen einen massiven Übergriff mehrerer Personen wären wir Halbwüchsigen ohnehin machtlos gewesen. Aber die Nacht blieb zumindest unter diesem Aspekt ruhig. Gegen neun Uhr konnte ich am Ehrenbreitsteiner Ufer unsere Pferde ausmachen, die von meinem Vater auf die Fähre geführt wurden. Vater hatte warmen Kaffee und Verpflegung mitgebracht. Die Pflanzkartoffeln haben wir gut nach Arenberg und später in die Erde gebracht, aber auch dort waren sie vor der hungernden Bevölkerung nicht sicher. In vielen Orten waren tagsüber "Flurhüter" eingesetzt um die ausgebrachte Saat oder die Ernte vor Plünderung zu schützen. Aber eben nur tagsüber, in den Nachtstunden mussten wir Kinder die Felder bewachen, bis das erste Grün aus den Pflanzreihen sproß. Trotz alledem wurden Pflanzkartoffeln nächtens wieder ausgegraben. Wo geplündert worden war, sah man erst Wochen später, wenn kahle Reihen aus dem Kartoffel-Grün hervortraten.
* Die Pellenz, so wird die Gegend um Polch und Münstermaifeld in der Eifel genannt. 
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Beim Apfelpflücken
1945, im drückendsten Hungerjahr nach dem Krieg, hatten wir etwa 2000 Zentner Äpfel zu ernten. Diese wurden gepflückt und nicht, wie heutzutage, geschüttelt. Es war ein sogenanntes Mastjahr. Bucheckern, Pflaumen und sonstige Früchte gab es zuhauf und im Überfluss. Fallobst wurde sofort aufgelesen, Szenen wie auf dem Foto waren undenkbar. Mit langen Leitern fuhr mich mein Vater frühmorgens auf den Meisengraben, ließ mir den mit Stroh ausgepolsterten Wagen stehen und empfahl sich mitsamt den Pferden. Im Weggehen hörte ich ihn noch sagen: "Heute Abend hole ich dich ab, zu essen ist ja genug da". Ich pflückte Korb um Korb. Gegen 16:30 war der Wagen gehäuft voll und ich hatte zwei oder drei Bäume abgeerntet. Jeder, der das schon einmal gemacht hat weiß, unter dem Baum liegt allerhand Fallobst. Dieses wurde in Säcke gefüllt und zu Kompott oder Trockenobst (Apfelringe) verarbeitet. Es durfte halt nichts verkommen.
Weit unten aus der Eselsbach sah ich eine Menschenmenge den Berg hochkraxeln, die alle ein festes Ziel vor Augen hatten. Mir schwante nichts Gutes. Sie kamen immer näher und als sie den vollen Wagen mit den Äpfeln sichteten, wurden sie immer schneller und rannten schließlich auf mich zu. Binnen weniger Minuten war mein Wagen geplündert - vor Hunger in den Apfel beissen und mitgebrachte Taschen und Rucksäcke vollstopfen geschah gleichzeitig. Das Fallobst interessierte sie nicht, das ließen sie mir gnädigst liegen. Ich hatte Glück in meinem Unglück denn oben am Feldweg sah ich meinen Vater mit den Pferden kommen. Er wurde auch von den Koblenzer Frauen gesichtet, so schnell sie gekommen waren, so schnell waren sie auch verschwunden. Jetzt aber war mein Wagen leer. Ein Donnerwetter blieb mir erspart, Vater hatte alles mitangesehen und in der Folge mußte ich nie mehr alleine Äpfel pflücken.
Aber die ganze Sache hatte für mich auch einen freundlichen Aspekt, denn unter den Frauen fiel mir eine ganz besonders auf. Sie hatte offensichtlich bessere Tage gesehen, hierhin hatten sie Hunger und Not getrieben. Sie war mit einer Kittelschürze bekleidet und trug ein Kopftuch, das unter dem Kinn verknotet war. Ich verfolgte sie mit meinen Augen, sie war etwa doppelt so alt wie ich und als sie mich gewahrte, richtete sie sich auf und kam, das Kopftuch lösend auf mich zu, fasste mich an den Schultern und küßte mich auf die Wange, so, als wolle sie sich für den Diebstahl der Äpfel entschuldigen und gleichzeitig bedanken.
Im Dreieck zwischen Kuhstall, Pferdestall und Apfelpflücken wurden wir nicht gerade mit Zärtlichkeiten überhäuft. Der Kuß einer schönen Frau, wie sie Sandro Botticelli oder Michelangelo nicht schöner hätten malen können, beeindruckte mich doch sehr. Sie war eine Schönheit mit schwarzem Haar, vom Typ her Römerin mit dunklen Augen, wie man sie an Rhein und Mosel oft sehen kann, Nachfahren der römischen Besatzung vor 2000 Jahren. Sie ging mit den anderen Frauen weg, ohne auch nur ein Wort des Abschieds zu sagen. Um es vorwegzunehmen, wir begegneten uns Jahre später wieder, doch unter ganz anderen Umständen. Aber der Reihe nach:Anfang der 1950 Jahre lernte ich durch Zufall einen kanadischen Offizier kennen, im Zivilberuf Studienrat, er glaubte in mir einen im Krieg vermißten Freund wiederzuerkennen. Hierin mußte ich ihn leider enttäuschen, aber es bot sich nun für mich eine gute Gelegenheit meine französischen Sprachkenntnisse aufzubessern. Er war Verbindungsoffizier zu französischen Dienststellen der Besatzung in Koblenz und wohnte längere Zeit in Koblenz in der Kornpfortstraße. Sein Name war Tom Paddington. Wir trafen uns öfter und ich zeigte ihm die vom Krieg noch verbliebenen Sehenswürdigkeiten von Koblenz und die Arenberger Kirche und Anlagen. Im Sommer wurde auf der Rheinlache (Foto links) die Johann Strauss Operette "Eine Nacht in Venedig" mit dem unvergessenen Tenor und Kammersänger Christo Bajew aufgeführt, ein Augen- und Ohrenschmaus erster Güte. Tom und ich besorgten uns also Karten und gingen abends erwartungsvoll zur Vorstellung. Wir waren viel zu früh dran und suchten uns einen günstigen Platz in der Mitte, direkt gegenüber der Bühne aus. Kurz vor Beginn der Vorstellung kam SIE, die Schöne vom Meisengraben, diesmal nicht in Kittelschürze. Wir erkannten uns sofort, sie meinte nach kurzer Begrüßung, mir in der Pause noch eine Erklärung schuldig zu sein. Die Vorstellung begann  und Christo Bajew, (Foto) mit seinem einschmeichelnden lyrischen Tenor sang die Glanzarie: "Steig in die Gondel mein Liebchen ich lade dich ein" das Publikum war hingerissen, es gab Szenenapplaus, selbst auf der anderen Rheinseite, am Pfaffendorfer Ufer, standen viele Zaungäste und klatschten begeistert mit. Das Ambiente, die laue Sommernacht, ein vorzügliches Orchester und begeisternde Künstler auf der Bühne ließen diese Vorstellung zum unvergesslichen Erlebnis werden.
In der Pause nahmen wir eine Erfrischung, Tom hatte eingeladen und sie erzählte, mehr zur Entschuldigung, ihre Geschichte: Sie war in Koblenz total ausgebombt worden und hatte alles verloren, nicht mal Erinnerungsfotos seien ihr geblieben, ihr Mann, Bauingenieur, war im Krieg bei Stalingrad (heute Wolgograd) gefallen und sie war bei Bekannten vorübergehend untergekommen. Aber, so fuhr sie fort, da könne sie auf Dauer nicht bleiben. Hin und wieder musste ich Tom ihre Geschichte übersetzten.- Eine Geschichte und ein Schicksal, wie es sich im Krieg tausendfach zugetragen und hätte erzählt werden können. Tom versprach ihr zu helfen und ich denke, das hat er auch getan.
Nach diesem Abend sah ich die "Schöne vom Meisengraben" nicht mehr, es war unsere letzte Begegnung. Tom ging im folgenden Herbst nach Kanada zurück, seine Militärzeit war zu Ende, aber er wollte mich unbedingt mit nach Toronto nehmen. Über Jahre hinweg pflegten wir regen Briefwechsel, der leider mit zunehmender beruflicher Beanspruchung verebbte.



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Bucheckern, Retter in der Hungersnot
Arenberger Frauen waren mit Kind und Kegel und jedem, der laufen und sich bücken konnte, in den umliegenden Buchenwäldern unterwegs. Um den Hunger zu stillen, wurden Bucheckern gesammelt, die wie in "Mastjahren" üblich, zentnerweise unter den Bäumen lagen. So auch mein Bruder Ludolf und ich. Das Ergebnis unserer Bemühungen war eher kläglich und abends war der Rücken krumm. Am nächsten Tag besannen wir uns auf unsere fast schon vergessene "Fochmühle", die seit Jahren unbenuzt in einer Ecke des Schuppens stand. Bevor ich weiter erzähle, muß zuerst die Funktion der Fochmühle erklärt werden. Foch- kommt etymologisch von fauchen oder Windblasen. Die Fochmühle war ein Instrument, das vordem, als es noch keine Dreschmaschinen gab, nach dem Flegeldreschen benutzt wurde, um die Spreu im sprichwörtlichen Sinn vom Weizen zu trennen. Über ein Rüttelsieb konnten zudem grobkörnige Verunreinigungen entfernt werden. Die Maschine wurde mit einer Handkurbel angetrieben, hatte ein eingebautes Windrad und oben einen breiten Einfülltrichter, in den das rohe Dreschgut eingeschaufelt wurde. Mit diesem altertümlichen Gerät, einer breiten Schaufel und Besen bewaffnet, gingen wir die Sache an. Nachdem die passenden Rüttelsiebe eingelegt waren, stellte sich sehr schnell der Erfolg unseres Erfindungsreichtums ein. Wir hatten abends kiloweise Bucheckern, sogar in zwei Sorten, Güteklasse A + B, aus denen nur noch einige verbliebene Holzstückchen aussortiert werden mußten. In Oberlahnstein gab es damals eine Ölmühle, die aus Bucheckern oder Raps Öl herstellte. Bei Anlieferung von einem Zentner Bucheckern gab´s etwa zwei Liter Öl, beim Raps war der Ertrag etwas höher. Der ausgepresste Ölkuchen wurde an die Hühner und Gänse verfüttert, die sich gierig darüber hermachten. Das Rapsöl stank beim Erhitzen und war eher eine Zumutung für die Geschmacksnerven. Das Bucheckernöl dagegen war von weit edlerem Geschmack und goldgelb in der Farbe, vergleichbar mit Sonnenblumen- oder gelblich-grünem Olivenöl. Mit dem Pferdefuhrwerk wurde die Ernte vieler Arenberger Familien nach Oberlahnstein verfrachtet, 10 Zentner und mehr und ebensoviele Personen waren auf dem Wagen. Die Fahrten erinnerten mehr an fröhliche Landpartien, weil jeder seine "Ernte" selbst abliefern wollte und dafür sein kostbares Öl bekam. In der Rückschau auf die Hungerjahre fällt mir auf, daß die Bevölkerung insgesamt wesentlich gesünder als heutzutage war. Adipositas (Fettsucht) war ebenso unbekannt wie Kreislauf- oder Herzbeschwerden. Die Leute sahen gleich aus, es gab keine "Dicke oder Dünne" gleichsam wie eine Herde Kühe auf der Weide, wo es auch keine dünne und dicke gibt, alle sind gleich gut (oder schlecht) ernährt.
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